Als vor zwei Jahren Fieber- und Antibiotikasäfte für Kinder fehlten, ist das Problem der Lieferengpässe vielen Menschen erstmals so richtig bewusst geworden. In diesem Herbst wurde viel über fehlende medizinische Kochsalzlösungen berichtet. Insgesamt sind mehr als 500 Medikamente derzeit als „nicht lieferbar“ gelistet (Stand: 09/2024). Die Engpässe werden in einer Liste vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dokumentiert. Allerdings können die Pharmaunternehmen selbst entscheiden, ob sie ihre fehlenden Medikamente in die Liste eintragen möchten oder nicht.
Erhöhte Nachfrage führt zu Engpässen
Das BfArM hat die Hersteller nach den Gründen für die Lieferschwierigkeiten gefragt. Diese haben eine erhöhte Nachfrage, unzureichende Produktionskapazitäten und Probleme bei der Herstellung als Hauptursachen genannt. Damit lässt sich beispielsweise der Engpass bei den Fiebersäften in der Erkältungssaison 2022/23 erklären.
Ein weiteres Problem ist die unzureichende Wirkstoffproduktion in Deutschland oder Europa. Mittlerweile werden rund 80 Prozent der Medikamente in Drittländern hergestellt, allen voran in Indien und China. Wegen des niedrigeren Lohnniveaus und der geringeren Umweltauflagen kann dort kostengünstiger produziert werden, was sowohl für die Hersteller als auch für die Einkäufer attraktiv ist. Allerdings konkurriert Deutschland als Abnehmerland mit vielen anderen Ländern um die Produkte. Zudem können Schwierigkeiten entstehen, wenn eine Charge nicht den hiesigen Qualitätsstandards entspricht oder es zu Problemen bei den Lieferketten kommt.
Globalisierung und Spezialisierung
Neben der globalisierten Arzneimittelherstellung macht auch die Spezialisierung der Produzenten das System anfällig für Engpässe. Für manche Wirkstoffe gibt es weltweit nur noch wenige Hersteller. Kommt es zu Produktionsausfällen oder Qualitätsproblemen in einer einzelnen Anlage, kann sich dies bereits auf die Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten in Europa auswirken.
Ein Lösungsansatz, um dem Problem Herr zu werden, wäre eine Rückkehr der Wirkstoffproduktion nach Europa. Dies wäre jedoch eine gesamteuropäische Aufgabe. Zudem müssten Patientinnen und Patienten sowie die Krankenkassen dann mit höheren Preisen für die Medikamente rechnen.
Rabattverträge verschärfen Situation
Eine weitere Ursache für Lieferengpässe sind zudem die Arzneimittel-Rabattverträge, die zwischen einer gesetzlichen Krankenversicherung und einem Arzneimittelhersteller geschlossen werden. Es handelt sich dabei um ein gesundheitspolitisches Steuerungsinstrument, das die Kosten im Gesundheitswesen senken soll. Dabei gewährt ein Pharmahersteller einer Krankenkasse einen Rabatt auf den Abgabepreis für ein Medikament oder auch eine ganze Wirkstoffgruppe. Im Gegenzug sichert die Krankenkasse zu, dass ihre Versicherten künftig nur dieses Präparat erhalten.
Die Krankenkassen haben zwar die Möglichkeit, die Versorgung auf mehrere Pharmaunternehmen zu verteilen (Mehrpartnermodell). Meist wird ein Rabattvertrag jedoch bloß mit einem Unternehmen geschlossen (Exklusivmodell), da dies aus Kostengründen interessanter ist. Exklusivmodelle sind aber auch unsicherer, denn sie führen häufiger zu Engpässen. Denn wenn nur ein Unternehmen für die Versorgung von Millionen Patienten verantwortlich ist, führt das zu einer enormen Marktdominanz. Kann der Hersteller nicht liefern, weil es beispielsweise zu Produktionsausfällen kommt, können andere Pharmaunternehmen die Versorgung nicht einfach auffangen. Aufgrund geringer Margen stellen diese nämlich oft auf Medikamente um, die mehr Gewinn bringen als Hustensäfte oder Antibiotika.