Hören

Hörgeräte: Am Leben teilhaben

11 min
Mann mit Hörgeräten
ninelutsk

Rund 20 Prozent der Menschen in Deutschland sind schwerhörig, doch nur etwa ein Drittel von ihnen trägt Hörgeräte. Dabei ist gutes Hören so wichtig, um aktiv am Leben teilnehmen zu können.

Viele Menschen gestehen sich ihre Schwer­hörigkeit nicht ein oder finden es unangenehm, auf eine Hörhilfe angewiesen zu sein. Mittlerweile gibt es jedoch eine riesige Auswahl an modernen Geräten in verschiedenen Preisklassen, die die jeweiligen technischen Ansprüche erfüllen und optisch kaum noch auffallen. Wichtig ist, dass die Hörgeräte rechtzeitig und gut angepasst werden, damit sie am Ende auch im Ohr und nicht in der Schublade landen.

Hörtest: Der erste Schritt

Patientinnen und Patienten, die bei sich eine Minderung der Hörleistung feststellen, können in der HNO-Facharztpraxis einen Hörtest und einen Sprachhörtest machen. Diese zeigen, ob ein Hör­gerät oder zwei Hörgeräte benötigt werden. Grund­sätzlich sind die Ohren ein paariges Organ und bei einer beidseitigen Hörschwäche müssen daher auch beide Ohren versorgt werden. Nur so kann ein optimales Hören erreicht werden.

Auch die Hilfsmittel-Richtlinien sehen als Regel­versorgung die beidohrige Versorgung vor, um ein Funktionsdefizit des Hörvermögens, unter Berücksichtigung des aktuellen medizinischen und technischen Erkenntnisstandes, möglichst weit­gehend auszugleichen.

Hörgeräteverordnung: Wer zahlt was?

Gesetzlich krankenversicherte Patienten erhalten von ihrem HNO-Arzt oder ihrer HNO-Ärztin eine Hörgeräteverordnung. Diese funktioniert wie ein Rezept. Nach den Hilfsmittel-Richtlinien verpflichtet die Verordnung den HNO-Arzt, die erwartete Hörverbesserung zu überprüfen und die Ergebnisse für die Krankenkassen zu dokumentieren, nachdem die Anpassung und Abgabe der Hörgeräte durch den Hörgeräte­akustiker erfolgt ist. Nur so kann eine opti­male Versorgung sichergestellt werden.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat Festbeträge für die Hörgeräteversorgung festgelegt. Diese können aber in den Versorgungs­verträgen, die die einzelnen Kranken­kassen mit den Hörgeräteakustikern abschließen, abweichen. Der festgelegte Festbetrag ist jedoch bei allen Kassen der Höchstpreis. Der Erstattungsbetrag liegt üblicherweise zwischen 800 und 900 Euro für die einohrige Versorgung. In diesem Betrag sind das Hörgerät, das Ohrpassstück, ggf. der Hörschlauch sowie eine Reparaturpauschale inklusive. Versicherte sollten den genauen Erstattungsbetrag unbedingt bei ihrer Krankenkasse erfragen. Manche Kassen veröffentlichen die Versorgungsverträge auch auf ihren Internetseiten.

Qualitätssicherung durch Fragebögen

Die gesetzlichen Krankenkassen haben mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) verein­bart, dass im Rahmen von Hörgeräteversorgungen zwei Fragebögen zum subjektiven Hörvermögen auszufüllen sind. Einmal zu Beginn und einmal zum Ende der erfolgten Versorgung. Diese Fragebögen sind ein wichtiger und zwingender Bestandteil der Qualitätssicherung. Manchmal sind die ge­stellten Fragen für Patienten nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar, sie sind aber international anerkannt, werden selbst­verständlich vertraulich behandelt und nur anonym ausgewertet.

Was passiert beim Hörgeräteakustiker?

Hörgeräteakustiker üben einen Handwerksberuf aus. Das Ausüben der Heilkunde ist ihnen verboten. Da Schwerhörigkeit ein Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung ist, erbringen Hörgeräteakustiker im Rahmen der Hörgerätever­sorgung handwerkliche und technische Leistungen und beraten bei der Auswahl und Anpassung der Hörgeräte. Die ärztlichen Leistungen übernimmt der HNO-Arzt oder die HNO-Ärztin.

Beim Hörgeräteakustiker werden den Patienten ver­schiedene Hörgeräte angeboten, unter anderem auch zuzahlungsfreie Modelle. Daneben stehen auch andere Hörgeräte zur Auswahl, die zum Teil erheblich teurer sind und bei denen dann auch hohe Eigenanteile fällig werden, die von den gesetzlichen Krankenkassen nur in wenigen Ausnahmefällen erstattet werden. Deshalb ist es wichtig, sich mit der Auswahl und dem Testen der verschiedenen Hörgeräte Zeit zu lassen.

Seit dem 1. April 2022 müssen Hörgeräte mindestens über folgende Features verfügen:

  1. Digitaltechnik
  2. omnidirektionale und gerichtete Schallaufnahme (nur Hinter-dem-Ohr-Geräte)
  3. Mehrkanaligkeit (mindestens sechs Kanäle)
  4. Rückkoppelungs- und Störschallunterdrückung
  5. Mindestens drei manuell wählbare oder ersatzweise automatische Hörprogramme
  6. Verstärkungsleistung entsprechend der Anforderung der Produktuntergruppe des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V 

Sobald Auswahl und Einstellung der neuen Hörgeräte zufriedenstellend abgeschlossen sind, muss der HNO-Arzt entsprechend den Hilfsmittel-Richtlinien noch einmal die getroffene Auswahl überprüfen und auf der Rückseite der Hörgeräteverordnung die An­passung der neuen Hörgeräte für die Krankenkasse bescheinigen.

Zusatzkosten prüfen

Manche Hörgeräteakustiker machen Kosten für die Testphase geltend, wenn es nicht zu einem Abschluss einer Hörgeräteversorgung bei ihnen ge­kommen ist. Dies ist in der Regel jedoch nur zulässig, wenn es zuvor ausdrücklich vereinbart worden ist.

Häufig unterbreiten die Hörgeräteakustiker zu­sätzliche Angebote, die nicht von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden und selbst bezahlt werden müssen. Darunter fallen z. B. Versicherungen und Fernbedienungen. Solche Angebote sollten genau geprüft werden. Bei Unsicherheit ist die HNO-Praxis der beste Ansprechpartner.

Bei zuzahlungsfreien Hörgeräten sind die Kosten für Beratung, Anpassung und Einstellung, Wartungen, Reparaturen und weitere Ohrpassstücke für einen Zeitraum von sechs Jahren durch eine Pauschale abgedeckt. Entscheiden sich Patienten für teurere Hörgeräte, tragen sie neben den Mehrkosten für das gewählte Modell auch alle Reparatur- und Wartungs­leistungen, die über die Servicepauschale hinaus­gehen.

Fragwürdig: Gratis-Testangebote

Bisweilen werden Patienten mit kostenlosen Hörgerätetestwochen umworben. Diese Werbung ist zwar nicht unzulässig, aber sie versucht, Patienten bei der Auswahl von Hörgeräteakustikern zu beeinflussen. Kaum einer verschenkt etwas ohne Grund. Durch diese Werbemaßnahmen sollen Kunden frühzeitig an ein bestimmtes Geschäft gebunden werden.

Folgeverordnung: Nicht ohne HNO-Arzt

Für die erstmalige Versorgung mit einem Hörgerät ist nach den Hilfsmittel-Richtlinien die ohrenärztliche Ver­ordnung durch einen HNO-Arzt oder eine HNO-Ärztin zwingend erforderlich, da die Ursache des Hörverlustes zunächst immer medizinisch abgeklärt werden muss.

Bei einer Folgeversorgung ist eine erneute HNO-ärztliche Untersuchung und Verordnung nach den Hilfsmittel-Richtlinien insbesondere zwingend vorgeschrieben

  • bei der Hörgeräteversorgung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren,
  • bei neu aufgetretenem Tinnitus oder
  • bei Vorliegen einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit.

Darüber hinaus ist eine HNO-ärztliche Untersuchung und Folgeverordnung nach den Hilfsmittel-Richtlinien immer dann vorgeschrieben, wenn eine erneute ärzt­liche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Ob diese medizinischen Voraussetzungen vorliegen, kann in der Regel nur der HNO-Arzt be­urteilen. Deshalb ist es wichtig, bei ungeklärten Be­schwerden oder einem weiteren Hörverlust im Zweifel immer einen Termin beim HNO-Arzt zu vereinbaren.

Ist eine HNO-ärztliche Folge­verordnung aus einem der vor­genannten Gründe notwendig, muss der Arzt nach der Anpassung durch den Hörgeräteakustiker die Auswahl und Anpassung der Hörgeräte kontrollieren und auf der Rückseite der Hörgeräteverordnung bescheinigen. Einige Krankenkassen verzichten bei der Erstverordnung auf eine solche Hörgerätekontrolluntersuchung beim HNO-Arzt. Bei Wiederholungsversorgungen umgehen einige Krankenkassen ganz die HNO-ärzt­liche Untersuchung und Verordnung. Auf solche Ver­fahren sollten Patienten sich nicht einlassen, sondern vor jeder Erst- oder Wiederversorgung immer den HNO-Arzt einschalten. Schließlich besteht ein gesetz­licher Anspruch auf HNO-fachärztlichen Standard. Zudem sind regelmäßige Kontrollen beim HNO-Arzt für Hörgeräteträger wichtig, denn häufig beein­trächtigt Ohrenschmalz das Hörvermögen nachhaltig.

Das Gehör verändert sich

Nach sechs Jahren haben gesetzlich versicherte Pa­tienten in der Regel einen Anspruch auf eine erneute Hörgeräteversorgung. Jedoch kann eine Kosten­übernahme durch die Krankenkasse des Patienten abgelehnt werden, wenn die bisherige Hörhilfe die bestehenden Beeinträchtigungen des Patienten nach wie vor ausgleichen kann.

Bei einer Folgeversorgung vor Ablauf von sechs Jahren muss die Wiederverordnung vom Arzt immer besonders begründet werden.

Hörgeräte direkt über den HNO-Arzt

Seit einigen Jahren gibt es in der gesetzlichen Krankenversicherung die Möglichkeit, Hörgeräte auch direkt über den HNO-Arzt im sogenannten verkürzten Versorgungsweg zu erhalten. Diese Ver­sorgungsform wird zunehmend von den Kranken­kassen unterstützt. Allerdings beteiligen sich nicht alle HNO-Praxen an diesem Verfahren. Patienten sollten sich deshalb bei ihrer Krankenkasse nach den Einzelheiten zu diesem Versorgungsweg er­kundigen und klären, ob und unter welchen Voraus­setzungen ihnen dieser Versorgungsweg offensteht.

Gut beraten? Qualitätscheck

Im Zuge der Hörgeräteversorgung sollten Patienten sich die nachstehenden Fragen stellen und selbst überprüfen, ob sie von ihrem Hörgeräteakustiker optimal beraten und versorgt werden:

  • Werde ich über die verschiedenen Typen der Versorgung (hinter dem Ohr, im Ohr) informiert?
  • Werde ich sachlich – ohne Drängen und ohne anpreisende Werbung – informiert?
  • Werden mehrere verschiedene, zuzahlungsfreie Hörgeräte angeboten?
  • Wird ein Preisvergleich empfohlen bzw. was wird besprochen, wenn das Hörgerät woanders günstiger ist?
  • Werde ich ausführlich über die entstehenden Kosten sowie den Nutzen und die Notwendigkeit von Zusatzleistungen (z. B. Versicherungen) aufgeklärt?
  • Geschieht dies am Anfang der Anpassung?
  • Macht der Hörgeräteakustiker auch Haus- und Heimbesuche?
  • Werden technische Extras mit Vor- und Nachteilen erklärt?
  • Gibt es Informationsmaterial und ausreichend Zeit zum Überlegen?
  • Wurde ich durch eine Kampagne „Probetragen“ geworben?