Fest steht: Mit der Kombination aus medizinischem Gerät und Lifestyle-Produkt bricht Apple Grenzen auf und löst einen Umbruch aus, der kaum noch aufzuhalten ist. Fachleute sind sich sicher, dass andere Unternehmen schon bald nachziehen werden.
Hemmschwelle für Hörhilfe sinkt
Apple zufolge können die AirPods Unterstützung bei leicht bis mäßig eingeschränktem Hörvermögen „auf klinischem Niveau“ bieten. Für viele Betroffene sinkt damit vermutlich die Hemmschwelle, überhaupt frühzeitig eine Hörhilfe in Anspruch zu nehmen und nicht zu warten, bis ein Hörgerät unausweichlich ist. Derzeit vergehen vom Beginn einer Schwerhörigkeit bis zum ersten Hörgerät nämlich durchschnittlich fünf bis sieben Jahre.
Um die neuen Funktionen zu nutzen, benötigt man die neuen AirPods Pro 2 sowie ein iPhone oder iPad, für die seit Ende Oktober ein kostenloses Software-Update verfügbar ist. Sowohl die amerikanische Food and Drug Administration als auch die in Deutschland zuständigen Behörden haben die AirPods als Medizinprodukt zugelassen. Da sie jedoch (noch) nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sind, können sie nicht von HNO-Ärzten verschrieben werden.
Persönliches Hörprofil
Das Hörvermögen lässt sich von zu Hause aus überprüfen. Die Ergebnisse werden als personalisiertes Hörprofil in der Health App gespeichert und können bei Bedarf sicher mit Ärzten geteilt werden, so das US-amerikanische Unternehmen. Stellt der Hörtest eine Einschränkung fest, wird der Nutzer von seinem personalisierten Hörprofil durch die Hörhilfefunktion geleitet. Nach einer kurzen Einrichtung sollte er über die AirPods sofort klarer hören können. Die Technik funktioniert prinzipiell wie bei allen Hörgeräten: Ein Mikrofon nimmt die Geräusche im Umfeld des Trägers auf und verstärkt sie. Die Einstellungen können den persönlichen Bedürfnissen angepasst werden, beispielweise in den Bereichen Balance, Verstärkungsgrad und Klangfarbe.
Betroffene müssen damit rechnen, das Hören – wie bei anderen Hörgeräten auch – zunächst als unnatürlich zu empfinden. Dies gilt insbesondere für die hohen Töne, denn Schwerhörigkeit kommt schleichend. Immer mehr Geräusche verschwinden im Laufe der Zeit, ohne dass es den Betroffenen auffällt. Wenn man mit Hilfe von Hörgeräten Jahre später die verlorenen hohen Frequenzen ausgleicht, muss das Gehirn erst wieder lernen, sie wahrzunehmen.
Bei Auffälligkeiten zum HNO-Arzt
HNO-Ärztinnen und -Ärzte empfehlen, unbedingt in die Sprechstunde zu kommen, wenn der Hörtest auf dem iPhone auffällig ist. Denn Apple beschränkt sich lediglich auf den sogenannten Hörschwellen-Test, also das Abspielen von Tönen in unterschiedlichen Tonhöhen und Lautstärken. Sobald die Testperson etwas hört, soll sie aufs Display drücken. HNO-Ärzte überprüfen hingegen auch das Sprachverstehen – und zwar mit und ohne Störgeräusche.
Die AirPods sind sicherlich besser als der Verzicht auf jegliche Hörhilfe, insbesondere im Anfangsstadium einer Schwerhörigkeit. Idealerweise wird mit ihrer Verbreitung das Thema „Hörgeräte“ weiter enttabuisiert. Je schlechter ein Mensch hört, desto komplexer wird jedoch die Versorgung und es führt kein Weg mehr an einem fachmännisch angepassten Hörgerät vorbei.